FRIDAY, APRIL 19, 2024

Indianische Medizin



MedizinmannFür die Indianer Nordamerikas stand die Harmonie schom immer im Mittelpunkt des Lebens. Sie ist die Quelle des Wohlbefindens, der Hort der Gesundheit. Lebt ein Mensch nicht mehr im Einklang mit seiner natürlichen oder sozialen Umwelt, dann stört er die Harmonie und wird krank. Jede Krankheit, jeder Schmerz hat seinen Ursprung. Das ist der Preis, den man zahlen muß, für eine Tat in der Vergangenheit oder aber in der Zukunft. Doch was sich im Körper ausdrückt, ist nicht das Wesentliche. Die Fähigkeit zu heilen verlangt mehr als das bloße Wissen um den Körper. Sie umfaßt alle Lebensbereiche.

Indianische Medizin ist also mehr als die Behandlung von Krankheiten. Sie ist vor allem Religion: Sie stiftet Identität durch Rituale, schafft Zusammenhalt durch Gemeinschaftserlebnisse. Sie befriedigt seelische und emotionale Bedürfnisse durch ihre Spiritualität. Indianische Medizin ist aber auch Kräuterheilkunde, Psychoanalyse und Philosophie.

Die indianischen Medizinmänner sind häufig Menschen, die sogenannte Nah-Tod-Erlebnisse hatten – zum Beispiel nach einer erlittenen Krankheit. Sie verschafften ihnen eine Sonderrolle in der Gesellschaft. Eine alte indianische Erkenntnis sagt über den weiten Weg zum Schamanentum: “Wenn du jeden Schmerz gespürt und alle Tränen geweint hast, wenn sie Tropfen für Tropfen auf dein Herz gefallen sind, dann kommt die Weisheit.”

Die Behandlungsmethoden und die Ausrüstung des Schamanen variieren von Stamm zu Stamm. Zum medizinischen Handgepäck gehören Trommel, Rassel, Schalen und Mörser, kleine Holzfetische, Adlerfedern, Bergkristalle, Pfeilspitzen und Steinbeil. Das wichtigste medizinische Amulett aber ist der Lederbeutel. Er besteht aus der Haut eines heiligen Tieres und enthält zum Beispiel Hirschschwänze, getrocknete Finger und oft den Magenstein eines Büffels. Diesem Bündel werden starke magische Kräfte zugeschrieben. Seit Urzeiten geht es vom Vater auf den Sohn oder den neu initiierten Schamanen über.

Ebenfalls uralt und immer noch gebräuchlich ist das indianische Schwitzhütten-Ritual.

Die Schwitzhütte, eine Art Sauna, wird kurz vor Wintereinbruch zur Reinigung von Körper und Geist gebaut. In ihrem stockfinsteren Innern dienen rotglühende Steine als Ofen, die von Zeit zu Zeit mit Wasser und Heilkräuterauszügen begossen werden. Aromatischer Dampf durchwabert die Hütte, in der drei oder vier Stammesangehörige liegen. Im Dunkeln sind sie den Göttern nahe und kehren symbolisch in den Schoß von Mutter Erde zurück.
Solche Rituale und Zeremonien sollen die gestörte Harmonie wiederherstellen. Schamanen sind dabei die Mittler zwischen Jenseits und irdischer Wirklichkeit. Sie sprechen mit den Göttern und versöhnen die Geister. Oft sind sie aber auch politische Führer (Sitting Bull, Joseph, Geronimo und andere berühmte Indianerhäuptlinge Nordamerikas waren zugleich Schamanen).

Wie die westliche Medizin kennt auch die indianische Heilkunst Spezialisierungen. Es gibt die reinen Diagnostiker und die “Mashki-kike-winini”. Diese Kräuterspezialisten sind oft Frauen. Sie kurieren mit Blättern, Beeren und Wurzeln. In einer Art indianischer Homöopathie, die Gleiches mit Gleichem behandelt, setzen sie ihre Heilmittel gegen die krankheitsverursachenden Geister ein. Bittere Tränke sollen die Dämonen aus Magen und Darm vertreiben, gelbe Blütenpflanzen die Geister der Gelbsucht, rote die von Blutkrankheiten und feuchte Moose jene, die Lungenleiden verursachen.

Solche Therapien klingen eher nach Aberglaube als nach wissenschaftlichen Erkenntnissen. Doch die Ergebnisse der indianischen Medizin sind überraschend. Schon vor Jahrhunderten heilten die “Mashki-kike-winini” mit dem Saft von Feigenkakteen Skorbut, rückten mit Schimmelpilzen der Diphterie zu Leibe und lösten schmerzende “Verhexungen” mit Kokablättern.

Wenn die Pflanzen versagen und die Geister nicht weichen wollen, nimmt der Schamane direkten Kontakt mit den Dämonen der Krankheit auf. In oft tagelangen Zeremonien kämpft er mit dem Bösen und versöhnt die Götter.

Die visionäre Kraft des Schamanen ist in vielen indianischen Kulturen untrennbar mit der Einnahme von Psychodrogen verbunden. Bewusstseinsverändernde Pilze und Kakteen wie “Teonanacatl” oder “Peyote” öffnen den Weg ins Schattenreich. Der Schamane wendet sich hin zu inneren Bildern, sein Bewusstsein reist durch die Unterwelt, und er identifiziert die Dämonen der Krankheit.

An den Heilritualen sind immer die Familie und die Freunde, häufig sogar der gesamte Stamm des Kranken beteiligt. Wichtigster Heilmechanismus ist die Zugehörigkeit zur grossen medizinischen Gesellschaft, zur Gemeinschaft des Stammes. Noch heute sind die “Sonnentänze”, durch die ein ganzes Volk von krankmachenden Einflüssen befreit wird, Höhepunkte im Leben der nordamerikanischen Indianer.

Von den Weißen wurden die Schamanen von Anfang an als Betrüger geächtet. Christliche Missionare verdammten ihre Riten, vernichteten ihre “gottlosen” Amulette und Fetische. Der Grund: Die Medizinmänner widersetzten sich entschieden der neuen christlichen Heilslehre. Sie waren Gegner und Konkurrenten der Priester.

Ihr schlimmstes Vergehen aber war ihr Erfolg. Sie kurierten nicht nur Indianer – auch hinfällige Weiße konnten dank indianischer Hilfe das Krankenlager verlassen. Mehr als 200 ursprünglich indianische Medizinpflanzen übernahmen die weißen Siedler nach und nach in ihre Volksapotheke. Vor allem im Nordwesten der USA war der indianische Einfluß stark, und viele weiße Kräuterkundige bezeichneten sich stolz als “Indian Doctors”.
Im Laufe des 19. Jahrhunderts wurde den Schamanen das Leben besonders schwer gemacht. In zahlreichen US-Bundesstaaten traten Verbote von Heilritualen in Kraft. 1887 setzte Washington schließlich die gesamte indianische Kultur auf den Index und untersagte den Ureinwohnern jegliche Ausübung religiöser und medizinischer Riten. (Erst 1934 wurde das Verdikt aufgehoben.)

Erst in unserem Jahrhundert befaßte sich auch die westliche Wissenschaft intensiver mit indianischer Medizin. Aber vieles ist unwiederbringlich verloren. Zwar haben in den Indianerreservaten manche Heilmethoden überlebt. Doch es gibt nicht mehr viele Schamanen. Ihre Ausbildung dauert Jahre, manchmal Jahrzehnte, und es fehlt an Nachwuchs. Da es keine indianische Schriftsprache gibt, müssen die Jungschamanen alle Gebete und Gesänge auswendig lernen. Manche der Zeremonien aber umfassen eine halbe Million Worte. Und die Götter und Geister unterstützen den Schamanen nur, wenn die Rituale bis ins kleinste Detail Stimmen.

Peyote Der am weitesten verbreitete indianische Kult ist heute die Peyote-Religion. Peyote ist ein stachelloser Kaktus, dessen Spitzen in Scheiben geschnitten und zerkaut werden. Er enthält 44 unterschiedliche Giftstoffe (Alkaloide). Meskalin, der wichtigste, hat eine stark bewusstseinsverändernde Wirkung: Farbenprächtige Visionen, der Blick in die Zukunft, mystische Erfahrungen werden beschrieben.
Peyote kam erst um 1870 nach Nordamerika. Für die Indianer wurde der Kaktus zur heilenden und heiligen Pflanze: zum Mittel gegen körperliche und seelische Gebrechen, vor allem aber zur einigenden Kraft, die unterschiedliche Stammeskulturen verband. Und Peyote wurde zur Kraftprobe: Die christlichen Missionare hatten die Droge verdammt und ihren Gebrauch als Teufelswerk streng untersagt. 1918 versuchte die US-Regierung, ein offizielles Verbot durchzusetzen. Die Indianer wehrten sich, mehrere Stämme organisierten sich unter dem Cheyenne Alfred Wilson in der “Native American Church” (NAC). Spätestens mit dieser Auseinandersetzung entwickelte sich Peyote zum indentitätsstiftenden Symbol, zur Leitsubstanz indianischer Kutlur. Heute ist die NAC eine Bewegung mit mehreren hunderttausend Mitgliedern. Peyote-Rituale und der Genuss der Droge sind wieder erlaubt.

»Alte indianische Weisheiten« werden heute auch im Westen gelehrt, in Workshops, Seminaren oder Abenteuercamps. Dahinter verbergen sich in der Regel dubiose Psycho-Sekten mit einem nebulösen Mystizismus oder einfach Geschäftemacher, die auf der Ethno-Welle mitschwimmen wollen. In ihren Prospekten zeigen sie entrückt dreinblickende Rothäute und versprechen Verheißungsvolles: “schamanische Reisen zu Kraft und Heilung”, Feuerproben und Initiationsriten, Schwitzhüttenzeremonien und Trommel-Sessions, um “Schamanen in uns” zu erfahren.
Harmloser, aber ebenso unsinnig ist die Verklärung der indianischen Medizin als Wunderheilkunst. Machen Sie´s “wie die alten Indianer, so leben Sie gesund”, empfahl eine Münchner Zeitung und berichtete, daß “100jährige Indianer keine Seltenheit waren”. Die Rothäute, so erfuhren die Leser, kannten weder Rheuma noch Bluthochdruck, weder Gicht noch Diabetes.

Die Wahrheit sah anders aus. Schon vor der Invasion der Weißen litten die Ureinwohner Nordamerikas häufig an Rheumatismus und Lungenentzündung. Auch Durchfälle und Fehl-Ernährung waren weit verbreitet. Das große Sterben begann mit der Ankuft der europäischen Siedler. Gegen Feuerwaffen konnten sich die Stämme noch zur Wehr setzen. Gegen eingeschleppte Seuchen und gegen die fremde Droge Alkohol waren sie jedoch machtlos.
Unter den Bella-Coola-Indianern wütete eine Kuhpocken-Epidemie derart, daß nicht genug Überlebende übrigblieben, um die zahllosen Toten zu beerdigen. “Die infizierten Männer und Frauen”, berichtete ein US-Leutnant 1862, “wurden in den Wäldern ausgesetzt, wo sie verlassen starben und verwesten.”

Die Indianer sind viele Tode gestorben. Nur wenige Stämme bewahrten ihr kulturelles Erbe – doch ihre Mythen haben überlebt. Daß die indianische Medizin nicht dem wissenschaftlichen Geist des Westens folgt, ist für den französischen Ethnologen Claude Lévi-Strauss nur vorteilhaft: Vieles von dem, was die Wissenschaft verkünde, sei “dermaßen phantastisch und widerspricht jedem gesunden Menschenverstand, daß man es nur in Mythen verständlich machen kann”. Wie die Indianer.

Handwerkszeug

Das “Handwerkszeug” eines Medizinmannes: Lederbeutel, Federn, Steine in einer Muschel. Jedes Teil hat seine eigene Geschichte und eine bestimmte Bedeutung.

Indianische Heilpflanzen

Pflanzensud und heiße Steine, Schimmelpilze, Kakteensaft und Grizzlybären-Wurzel: Die Apotheke Manitous war reichhaltig. Hunderte von Heilpflanzen waren ihre wichtigste Stütze. So half zum Beispiel die Rinde des Fenchelholz-Baumes bei Koliken, Blähungen, Leber- und Nierenschmerzen. Der Sud aus Blättern und Beeren sollte rheumatische Beschwerden und Geschlechtskrankheiten lindern. Frisch zerriebene Blätter dienten als Wundpflaster, das ausgekochte Wurzelmark als Narkotikum.
Die Indianer kannten sogar Penicillin.

Zur Behandlung von Wundinfektionen und gegen Diphtherie kratzten sie Schimmelpilzkulturen von Baumstämmen ab und strichen sie auf die Wunde.
Die bekannteste indianische Kulturpflanze ist der Tabak. Sein Saft half gegen Zecken und desinfizierte Wunden. Sein Rauch begleitete nicht nur Rituale und Kulte, er linderte auch Kopf- und Zahnschmerzen. In der Regel rauchten die Indianer den Tabak vermischt mit anderen Heilpflanzen.

Krätze und Wurmbefall wurden mit Lilienwurzeln behandelt. Offenbar hatten die Indianer die Wurmkur beim Grizzlybären abgeschaut. Während der Lachs-Saison nehmen die Bären mit dem Fisch reichlich Würmer zu sich. Um sie wieder loszuwerden, fressen die Tiere dann die stark abführenden Lilienwurzeln.

Als Medizin für alle Fälle war die Schafgarbe beliebt. Schafgarbentee wurde gegen fast alle Beschwerden eingesetzt, von Erkältung bis hin zu Fieber, Verstopfung und Hämorrhoiden. Zu den spektakulärsten Erfolgen der indianischen Medizin zählt die Behandlung von Skorbut, zum Beispiel mit Elsbeeren und Feigenkakteen. Davon profitierten drei französische Schiffsbesatzungen, die im bitterkalten Winter von 1535/36 am St.-Lorenz-Strom im Eis festsaßen. 25 der 110 Männer waren bereits an Vitaminmangel gestorben, als ihnen die Indianer zu Hilfe kamen und die Männer kurierten.

Bewährtes Verhütungsmittel vieler indianischen Stämme war die Yamswurzel. Sie enthält das Hormon Progesteron, wichtigster Bestandteil der “Antibabypille”.
Der Sonnenhut Echinacea angustifolia, heute in ganz Europa von der Pharmaindustrie angebaut, ist ein altes indianisches Heilmittel. Bei Verletzungen wurde das Wurzelpulver auf die Wunde gestreut, die Blätter als Wundpflaster aufgelegt. Die Dakota tranken Echinacea-Sud gegen Blutvergiftung. In unseren Apotheken wird die Substanz oft verlangt; sie stärkt die körperlichen Abwehrkräfte.

Zur Zahnpflege und Atemerfrischung wurde aus dem Stamm einer großen Blattpflanze eine harzartige Substanz gewonnen. An Sonne und Luft getrocknet, duften die zähen Pflanzentränen erfrischend und angenehm. Die Creek kauten die gummiartigen Stücke stundenlang: Der Kaugummi war erfunden.

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